Die Auszeichnung “Mobilmacher:in der Woche” geht diese Woche an Sandra Heß, Verkehrsmeisterin und angehende Teamleiterin bei der Bogestra. Ihre Kolleg:innen sagen über sie: Das ist eine, die richtig Bock hat, auf die man sich verlassen kann - und die immer Pionierin war.
Foto: Bogestra
Im März 2022 beendet Sandra Heß eine 18-monatige Weiterbildung zur Teamleiterin im Fahrdienst. Damit ist sie die zweite weibliche Teamleitung für Bus- und Stadtbahnfahrer:innen bei ihrem Arbeitgeber, der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn (Bogestra).
Dass Sie einmal Führungskraft wird, hätte die Gelsenkirchenerin früher nicht gedacht, erzählt sie. “Ich war Schulabbrecherin und kurz arbeitslos. Irgendwann habe ich mir gesagt: Dein Leben ist doch auch wertvoll, du solltest was daraus machen.” Also machte Heß ihren Hauptschulabschluss und bekam vom Arbeitsamt den Führerschein finanziert.
“Weil ich ein kreativer Mensch bin, aber ich mir kein Bürojob vorstellen konnte, habe ich eine Lehre zur Malerin und Lackiererin gemacht.”
Allerdings habe ihr Ausbildungsbetrieb sie danach nicht übernommen. “Das war zu einer Zeit, in der Frauen kaum in dem Beruf gearbeitet haben. Dann bin ich auch sehr klein und sehr zierlich. Ich kann zwar sehr wohl Farbeimer schleppen, aber nach der Lehre war da Schluss.”
Um nicht wieder arbeitslos zu werden, setzte Heß eine Weiterbildung zur Ausbaufacharbeiterin obendrauf. Eine Freundin ihrer damaligen Lebensgefährtin, die bei der Bogestra als Lackiererin arbeitete, riet ihr, sich doch bei dem Verkehrsunternehmen zu bewerben. Nach dem Motto: Ob man einen Stuhl oder einen Zug lackiert, ist doch egal.
“Ich kann anpacken, mach mich gerne dreckig und bin mir für nix zu schade. Außerdem mag ich Herausforderungen.
Sandra Heß, Verkehrsmeisterin und angehende Teamleiterin
Zum damaligen Zeitpunkt gab es bei der Bogestra jedoch nur offene Stellen im Fahrdienst, wie Heß erzählt. “Also habe ich mich auf eine Ausbildung als Fahrerin beworben.“ Mit der Ausbildung zur Fahrerin klappte es dann - mit ein bisschen Verzögerung - zum 1. August 2009.
“Das war so eine geile Zeit: Ich hatte tolle Kollegen und einen wundervollen Teamleiter, der mich damals gefragt hat, was ich denn werden und wohin ich mich entwickeln möchte. Der hat mich nie aufgegeben und immer an mich geglaubt, auch wenn es mal Rückschläge gegeben hat oder ich wegen Krankheit längere Zeit ausgefallen bin”, schwärmt sie von ihrem Job als Fahrerin, den sie vier Jahre lang gemacht hat. “Ich konnte mir nur zwei andere Jobs bei der Bogestra vorstellen: Fahrlehrerin oder Verkehrsmeisterin.”
“Verkehrsmeister sind sowas wie die Polizei”
Ihr Teamleiter motivierte und unterstützte Heß, sie absolvierte die interne Weiterbildung und wurde die erste weibliche Verkehrsmeisterin bei der Bogestra. “Vekehrsmeister sind so etwas wie die Polizei der Verkehrsunternehmen: wir nehmen Unfälle auf, koordinieren und reparieren kleine Störungen, solche Sachen.”
Leider sei es mit den Kollegen und Fahrgästen nicht immer leicht gewesen, erzählt Heß rückblickend. “Weil ich sehr jung wirke, wurde ich nicht immer von allen Kollegen ernst genommen. Ich musste mich oft beweisen, vielleicht mehr, als andere das müssen.” Auch dass sie eine Frau sei, die den Mund aufmacht - “ich hab ne große Schnauze und sage, wenn etwas Scheiße ist” - sei nicht immer überall gut angekommen. Ihr sei so mancher Stein in den Weg gelegt worden. Außerdem sei sie als Verkehrsmeisterin - anders als im Fahrdienst - nicht mehr ihre eigene Chefin gewesen. ”Ich habe den Job eigentlich sehr gerne gemacht, aber irgendwann war ich damit nicht mehr zufrieden und habe mich gefragt: Was machste denn jetzt?”
Mit einer Mentorin zu besserem Selbstbewusstsein
Um das herauszufinden, nahm Heß an einem Cross-Mentorinprogramm teil, das die Bogestra angeboten hatte. Sie bewarb sich auf den Platz und habe alle überzeugt, so ihre Kollegin Petra Bönnemann, die das Programm begleitet hat. “Da hat sie uns echt vom Hocker gehauen, weil sie so klar war in dem, wo sie hin will und wie sie sich entwickeln will.”
Heß selbst sagt über sich, dass sie damals sehr unsicher und unzufrieden mit sich selbst gewesen sein und daran arbeiten wollte. Ihrer Mentorin sei sie sehr dankbar für die gemeinsame Zeit, erzählt Heß. Sie habe nicht nur verstanden, dass sie häufig eine viel schlechtere Meinung von sich selbst habe als andere, sie sei jetzt auch viel stärker, selbstbewusster und geduldiger mit sich und anderen.
“Nach dem Coaching bin ich auf ein Pilotprojekt bei uns aufmerksam geworden: eine neue Teamleiterausbildung für den Fahrdienst, die 18 statt wie bisher nur drei Monate dauerte.
Es handelt sich um eine interne Weiterbildung, bei der die Fahrer - Heß ist erst die zweite Frau in dieser Position - ein Jahr lang auf einem Betriebshof als Teamleiter eingesetzt wird. Anschließend besuchen die Führungskräfte-Trainees für jeweils sechs Wochen die anderen Stationen. Ausgebildet wird nach Bedarf.
Ich brauche Action und konnte mir gar nicht vorstellen, dass Teamleiterin ein actionreicher Job ist. Deshalb habe ich mich ehrlich gesagt nie als Teamleiterin gesehen.
Sandra Heß, Verkehrsmeisterin und angehende Teamleiterin
In der Vorauswahl habe Heß erneut alle von sich überzeugt: “Sie war immer Pionierin in Männerberufen, hat sich immer durchgebissen und wenn sie sagt, dass sie etwas macht, kannst du dich darauf verlassen, dass sie das auch tut”, sagt eine Kollegin über sie. Im März Endet Heß' Ausbildung. Sie freue sich schon sehr auf ihren neuen Job, sagt sie.
„Der Job macht mir Spaß und ich werde akzeptiert. Ich gehe jeden Tag freudestrahlend zur Arbeit.“
Das sei für sie grundsätzlich auch das wichtigste: Das es passt und sie mit Spaß dorthin fahre.
Ich bin immer noch die Sandra, wie ich sie auch im Fahrdienst oder als Verkehrsmeisterin war. Aber trotzdem muss ich auch mal als Chefin auftreten und Entscheidungen treffen, über die sich nicht jeder freut.
Sandra Heß, Verkehrsmeisterin und angehende Teamleiterin
“Gerade mache ich alles: ich fahre Busse und Straßenbahnen, bin Teamleiterin und als Verkehrsmeisterin im Einsatz und bin damit super glücklich”, sagt Heß.
Ihr Ziel für die Zukunft als Teamleiterin: so zu werden wie ihr Teamleiter, der trotz ungeradem Lebenslauf immer an sie geglaubt und sie unterstützt habe. “Er ist wirklich mein großes Vorbild. Wenn ich so eine Chefin werde wie er war, dann habe ich alles richtig gemacht.”
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