top of page

„Wir planen nur für das, was wir kennen.“

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr möchte mit einem umfassenden Mobilitätsdaten-Ökosystem datengetriebene Innovationen fördern: vom On-Demand-Shuttle bis zur kommunalen Verkehrsplanung. Allerdings erhebt ein Drittel der Mobilitätsunternehmen im DACH-Raum keine Daten zu Geschlecht oder Alter. Wenn solche zentralen Merkmale ignoriert werden, entstehen blinde Flecken – mit echten Folgen.

Beerenrote Grafik, die Datenpunkte sowie eube Bahn, ein Auto und ein Fahrrad wie auch vier stilisierte Personen darstellt
Ohne diversere Daten entstehen Angebote, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen.

Im März 2025 hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) mit der Vorstellung eines umfassenden Mobilitätsdaten-Ökosystems einen wichtigen Schritt gemacht. Daten sollen besser vernetzt, geteilt und genutzt werden.

Das Ziel: datengetriebene Innovationen fördern – vom On-Demand-Shuttle bis zur Verkehrsplanung auf kommunaler Ebene.

Doch eine entscheidende Frage bleibt offen: Welche Perspektiven fließen in diese Datenlandschaft ein – und welche nicht? Wer wird sichtbar gemacht, wer bleibt statistisch unsichtbar? Wie werden Daten erhoben und analysiert? Und was bedeutet das für die Zukunft der Mobilität in Deutschland?

Daten sind die Grundlage für die Planung von Mobilitätsangeboten. Durch die Verschneidung von quantitativen und qualitativen Daten können Mobilitätsangebote nach Bedarf ausgestaltet werden. Gleichzeitig gibt es immer noch viele Datenlücken in bestehenden wie auch neu erhobenen Datensätzen. Das führt zu blinden Flecken in der Planung – und damit zu Mobilitätsangeboten, die für viele Menschen nicht nutzbar sind. Hier sprechen wir vom Gender Data Gap.


Der Gender Data Gap durchzieht viele verschiedene Lebensbereiche: unsere Gesundheit, Kultur, Wissenschaft, Stadtplanung und Ökonomie. In der Medizin beispielsweise steht der männliche Körper seit jeher synonym für den Menschen. Aus diesem Grund bildet er nach wie vor die bevorzugte Grundlage für Medikamententests, die medizinische Forschung sowie die Behandlung von Patient:innen. Auch in der Verkehrsplanung dominiert dieses Bild: der gesunde, männliche Berufspendler – mittelalt, 1,78 Meter groß – als Norm. Frauen, Kinder, ältere oder behinderte Menschen und deren Mobilitätsbedürfnisse werden in der Planung von Fahrzeugen, Städten, Bustaktungen und Straßen oder Mobilitätsangeboten jedoch nicht bis kaum berücksichtigt, wie auch eine Studie des Deutschen Luft- und Raumfahrtcentrums (DLR) zeigt. Besonders betroffen sind Bereiche wie Sicherheit, Funktionalität, Komfort und sanitäre Anforderungen, haben die DLR-Forscherinnen Dr. Laura Gebhardt, Sophie Nägele und Mascha Brost herausgefunden.


Woran das liegt, zeigt unter anderem der im Februar 2024 erschienene Report „Daten & Diversität in der Mobilität“ von point&. Demnach erhebt ein Drittel der befragten Mobilitätsunternehmen erst gar keine Informationen zu Alter, Geschlecht oder Wohnort der Fahrgäste. Und von denen, die Daten analysieren, werten nur 17 % personenbezogene Daten überhaupt hinsichtlich geschlechtsspezifischer Verhaltensunterschiede aus.

Die Datenbasis, auf der neue Angebote geplant oder bestehende verbessert werden, ist also oft verzerrt. „Wir planen für das, was wir kennen“, heißt es im Report. Viele Mobilitätsdaten orientieren sich an einem linearen Wegemuster: Von A nach B. Schnell, effizient, technikgetrieben.

Aber so bewegen sich viele Menschen nicht – insbesondere Frauen nicht. Das bestätigt auch Christoph Kirchberger, Raumplaner bei mobyome: „Wir reden oft generisch über Hürden und Herausforderungen der Nutzer:innen. Es liegt aber oft im Persönlichen, wieso ein Angebot nicht genutzt wird. Dafür braucht es einen detaillierten Blick, um ein klares Bild zu schaffen.“

Das österreichische Unternehmen mobyome, das an der Befragung von point& für den Report teilgenommen hat, erhebt gezielt auch Daten von Nicht-Nutzer:innen, führt differenzierte Befragungen durch und arbeitet mit Tools, die qualitative Rückmeldungen zulassen. Kirchberger betont: „Neben Diversität und Gender sind auch Wertehaltung und Lebensziele wichtige Perspektiven.“

Gender & Mobilität: So beeinflussen soziale Rollen das Mobilitätsverhalten.

Daten sind nur dann ein Hebel für Innovation, wenn sie richtig erhoben und interpretiert werden. Damit Mobilitätsdaten ihr volles Potenzial entfalten, braucht es:


  • Verpflichtende Datenerhebung zu Diversitätsmerkmalen (Alter, Geschlecht, Barrieren, Wohnort – und idealerweise auch Care-Verpflichtungen oder Sicherheitsbedenken).

  • Untersuchungen nicht nur zu Fahrgästen und Kund:innen, sondern auch zu Nicht-Nutzenden.

  • Mehr Diversität in Teams, gerade in Produktentwicklung und Management.

  • Plattformen wie Mobilithek & Mobility Data Space, die auch soziale Daten erfassen und nicht nur technische KPIs sammeln.


Spannend: Je höher der Frauenanteil in Teams und Management, desto häufiger wird das Potenzial solcher Analysen genutzt – mit konkretem Einfluss auf Angebot und Nutzung.


Das Mobilitätsverhalten unterscheidet sich teilweise signifikant zwischen unterschiedlichen Nutzer:innengruppen, insbesondere nach sozialem Geschlecht bzw. in welcher Lebensphase sich befragte Personen befinden. Gute Anhaltspunkte liefert beispielsweise die Unterscheidung von Gruppen nach der Kombination der Merkmale Haushaltstyp, Geschlecht und räumliche Lage.

Teilnehmer:in der Befragung Daten & Diversität in der Mobilität 2024


Women in Mobility macht deshalb seit zehn Jahren Frauen in der Branche sichtbar – in ihrer Expertise, in ihren Geschichten und in ihrem Beitrag zur Verkehrswende.

Doch Sichtbarkeit endet nicht bei Porträts und Panels. Sie beginnt oft schon in der Erhebung von Daten. Wenn bestimmte Gruppen in der Planung, im Code, im Geschäftsmodell – und in der Statistik fehlen, wird Mobilität weiter für eine Norm entwickelt, die viele andere ausschließt. Und das ist weder gerecht noch zukunftsfähig.


Comments


MOBILITY NEWS

bottom of page