'Mobilität ist ein Menschenrecht', sagt Farnaz Tepper. Doch nicht überall haben Menschen gleichermaßen Zugang zu Mobilität und damit zu Bildung und Chancengleichheit. Deshalb setzt sie sich für ein besseres ÖPNV-Angebot in Deutschland ein – und für mehr Frauen in der Mobilitätsbranche.
Farnaz Tepper stammt aus dem Iran. Vor rund 20 Jahren kam sie zum Studieren nach Deutschland. Heute arbeitet sie bei der PTV Group, einem Software- und Beratungsunternehmen im Bereich Simulationssoftware für Verkehr und Mobilität. Ihr Job sei wichtig, um Menschen Teilhabe zu ermöglichen, sagt sie. „Wir wollen die Leute dazu bringen, den ÖV zu nutzen und dafür ist ein gutes Angebot ausschlaggebend. Ich will nicht lange an einer Haltestelle warten, ewig dorthin laufen oder zigmal umsteigen, um ans Ziel zu kommen. Wir alle wollen möglichst schnell von A nach B kommen.“ Diese Erwartung an den öffentlichen Verkehr sei in allen Ländern gleich. Ein großer Unterschied in Sachen Mobilität: Anders als in vielen anderen Ländern können sich in Deutschland fast alle Menschen auch ohne Auto frei bewegen. „Das ist genau das, was mich an Mobilität berührt: sie gibt uns Freiheit. Man ist in Deutschland nicht auf ein Auto angewiesen, sondern kann auch mit dem ÖV fast überall hinfahren“, so Farnaz. In ihrem Heimatland sei das anders. Alte und kranke Menschen, Kinder und Menschen mit Beeinträchtigungen seien abhängig von der Bereitschaft anderer, sie von A nach B zu fahren.
„In einer Großstadt wie Teheran sind die Eltern Taxifahrer für die Kinder, weil es keine Alternativen gibt.“ Auch die Sicherheit sei hierzulande im öffentlichen Verkehr vergleichsweise hoch. „Wir vergessen in Deutschland oft, dass ÖV in anderen Ländern ganz anders funktioniert. Für Frauen ist die Nutzung des ÖVs hier kein Thema. Im Iran ist das nicht so. Und in vielen Metropolen weltweit ist es für Frauen eine Herausforderung, allein unterwegs zu sein“, sagt sie.
„Wenn eine Frau in einen Bus einsteigt, in dem 90 Prozent Männer sind, muss sie befürchten, belästigt zu werden. Da sind reine Frauenabteile im ÖV sinnvoll...“
Dass die Passagiere im öffentlichen Nahverkehr in anderen Ländern – anders als in Deutschland - überwiegend männlich seien, liege auch daran, dass die Bushaltestellen oft sehr weit entfernt von belebten Plätzen seien, was den Weg zur Haltestelle für Frauen potenziell gefährlich mache. Ihre Tochter dagegen werde sorglos und selbstständig mit Bus und Bahn zur weiterführenden Schule fahren können.
Ihr sei es deshalb wichtig, mit ihrer Arbeit für einen sicheren ÖPNV und ein gutes Angebot zu sorgen. „Es bedeutet mir viel, dass ich in diesem Job und mit dem Unternehmen etwas bewege kann, dass ich etwas tun kann, dass für alle wirkt. Alle brauchen Mobilität und wir helfen dabei, dass Verkehrsunternehmen bessere Angebote machen können“, bekräftigt Farnaz.
Entscheidungen für Deutschland, Karlsruhe und PTV waren Zufall
Dabei ist sie eher zufällig zur Mobilität und zur Arbeit mit Software gekommen. Farnaz studierte im Iran Vermessungswesen und Geodäsie. Nach ihrem Bachelorabschluss wollte sie mehr von der Welt sehen und erkundigte sich, in welchen Ländern sie ein Masterstudium in ihrem Bereich machen könnte. Weil Deutschland damals das einzige Land ohne Studiengebühren war, fiel die Wahl auf Deutschland. Ihren Master habe sie damals, 2004, wahlweise in Karlsruhe oder Stuttgart machen können. Zugesagt hätten ihr beide Universitäten, erinnert sie sich. Die Wahl fiel – auch hier wieder eher zufällig – auf Karlsruhe. Ihre Masterarbeit in Geoinformatik schrieb sie bei einem lokalen Softwareunternehmen, der badischen PTV Group.
Ich habe mir beide Städte angeschaut: in Stuttgart habe ich meinen Bus verpasst, weil mein Zug später kam und ich saß im Regen am Schlosspark. Am Tag darauf war ich in Karlsruhe, es war sonnig und die Stadt war wunderschön. So bin ich in Karlsruhe gelandet, wo ich heute immer noch bin.
Farnaz Tepper, strategische Produktmanagerin PTV Group
Nach dem Studium heiraten Farnaz und ihr Freund, suchten sich Jobs in Karlsruhe. Weil der Kontakt zum Unternehmen schon bestand, fing sie bei PTV im Bereich Geoinformation für die Kartenherstellung an. Seitdem habe sie dort verschiedene Rollen inne gehabt: von der Datenarchitektin bis zur Managerin. Kurz vor Beginn der Corona-Pandemie habe es eine Umstrukturierung im Unternehmen gegeben, durch die sie eher zufällig in der Softwareentwicklung gelandet sei. „Ich fand das cool, weil ich immer was anderes machen wollte, aber ich habe mich nie getraut, weil ich kein Studium in diesem Bereich hatte. PTV hat mir die Chance gegeben.“ Mit Hilfe ihrer Kolleginnen und Kollegen habe sie sich in die neue Position hinein entwickelt. „Als technische Produktmanagerin war ich für die Softwareprodukte verantwortlich, die mit Mobilitätsdaten zu tun haben. Das passte also ganz genau zu meinem Studium“, sagt Farnaz.
Mittlerweile ist sie strategische Produktmanagerin für Software für ÖPNV-Angebotsplanung. Das Tool, für das sie verantwortlich ist, hilft Angebotsplaner:innen, das ÖV-Netz und die Fahrpläne mit ein paar Klicks anzupassen – zum Beispiel wenn es Änderungen in den Fahrplänen oder -strecken auf Grund von Baustellen gibt, oder der Fahrplan für die nächste Saison geändert wird. Was heute in Verkehrsbetrieben und Städten häufig noch per Excel oder nach Bauchgefühl gemacht wird, kann in der Cloud effizient und transparent erstellt werden. So lässt sich zum Beispiel auch die Erreichbarkeit analysieren, um Kund:innen ein besseres ÖV-Angebot bereitzustellen.
Gefragte Skills, Fähigkeiten und Lieblingsprojekte
Ihre Aufgabe: den Mobilitätsbedarf in den Ländern und Kommunen sowie die Anforderungen der Verkehrsbetriebe so an ihr Team zu kommunizieren, dass sie ein möglichst einfach zu bedienendes Tool konzipieren können. „Unsere Lösungen sind sehr komplex. Meine Aufgabe besteht darin, die Komplexität für die Nutzenden zu vereinfachen“, erklärt Farnaz. „Die Anwender:innen wollen nicht mehr dieselbe Komplexität bei Produkten wie noch vor 20 Jahren. Deshalb bieten wir anwendungsbezogene Software, anstatt einer kompletten Toolbox für alle möglichen Anwendungsfälle. Das ist ein bisschen wie mit Photoshop und Instagram. Photoshop hat ganz viele Funktionen, um Bilder zu bearbeiten. Bei Instagram drücke ich dagegen einen Knopf und die Qualität ist spitze.“
Für ihren Job brauche sie technisches Verständnis, aber vor allem die Fähigkeit, zuzuhören und das Gehörte anderen verständlich zu machen. Sie sei die Schnittstelle zwischen den einzelnen Fachbereichen, aber auch zum beauftragenden Verkehrsunternehmen. „Das macht meine Arbeit spannend und mich richtig glücklich, wenn ich sehe, dass wir den Arbeitsalltag unserer Kund:innen vereinfachen können“, sagt sie.
Ihr Lieblingsprojekt sei allerdings die aktuelle Kampagne „Mobility is a human ride“ von PTV, sagt Farnaz. Die Kampagne will Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Mobilität und Zugänglichkeit für alle lenken.. „Zugang zu Mobilität bedeutet Zugang zu gesellschaftlichem Leben, zu Bildung, Arbeit, zu medizinischer Versorgung, zu Freizeit. Wem dieser Zugang fehlt, der hat verminderte Chancen und Möglichkeiten im Leben. Wir sollten uns immer bewusst sein, dass Mobilität ein Menschenrecht ist und dass gerade Frauen nicht überall auf der Welt gefahrlos mobil sein können“, sagt Farnaz.
Deshalb sollten ihrer Meinung nach mehr Frauen in den Entscheidungsebenen in Verkehrsunternehmen, bei Softwareherstellern, in der Städteplanung und überall sonst sein, wo es um Mobilität geht. „Sonst läuft es genauso wie in der Medizin, wo sich alles nach dem männlichen Körper ausrichtet. Männer und Frauen sind nun mal unterschiedlich. Weibliche Körper funktionieren anders als männliche und Frauen haben andere Bedürfnisseals Männer. Also sollten sie auch anteilig Entscheidungen über die Gestaltung der Mobilität und im speziellen des ÖVs treffen können.“
Wer sich an der Kampagne beteiligen möchte: Die PTV Group spendet 1 Euro für jeden entsprechenden Post unter dem Hashtag #MobilityisaHumanRide auf LinkedIn an das World Resources Institut (WRI), um ein Mobilitätsprojekt zu unterstützen.
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