Bird, Lime, Tier, Voi: Seit der Zulassung im Juni 2019 prägen E-Scooter das Bild in deutschen Großstädten. Nastya Koro, bei Tier für User Research zuständig, hat uns verraten, wofür die Menschen die Scooter annehmen, warum Frauen eigentlich die perfekte Zielgruppe sind und wie sich Corona auf Mikromobilität auswirkt.
Quelle: TIER Mobility
MobilityMonday: Du bist bei TIER für User Research zuständig. Wie muss ein E-Scooter denn sein, damit Menschen ihn gerne nutzen?
Nastya Koro: Nutzerzentriertheit geht bei TIER in viele Richtungen: sie umfasst sowohl die App als auch die Fahrzeuge. Unsere User Research Insights werden ständig umgesetzt, um sicherzustellen, dass die Nutzer unserer App ein reibungsloses Fahrerlebnis haben und über die Sicherheit informiert werden. In Bezug auf die Hardware ist das, was unser aktuelles Modell nutzerzentriert macht ein größeres Vorderrad, ein doppelter Bremsmechanismus und eine gute Federung - all das trägt zu einem besseren Fahrkomfort bei, besonders auf holprigen Straßen. Seit kurzem hat TIER eine Batterie, die von den Nutzern selbst getauscht werden kann, was einfach zu bedienen ist und unter anderem zur Erschwinglichkeit beiträgt.
Kooperiert ihr bei der Userforschung mit der Konkurrenz?
Unser eigenes User Research Team zusammen mit anderen Teams bei TIER arbeitet mit renommierten Forschungsagenturen und Institutionen sowie Non-Profit-Organisationen an verschiedenen Themen der Userforschung. Kürzlich haben wir begonnen, uns mehr mit weiblichen Nutzern zu beschäftigen, und zusätzlich zu unseren internen Forschungsprojekten haben wir großartige Erkenntnisse aus Studien über inclusive Mobilität von externen Gender-Mobilitätsexpertinnen wie Ines Kawgan-Kagan vom AEM-Institut erhalten. Außerdem hat sich TIER mit dem AA's DriveTech für die Ride Safe School, den allerersten E-Scooter-Theorietest, zusammengetan.
Weil E-Scooter eine relativ neue Art sich fortzubewegen sind?
Sicherheit ist ein der wichtigsten Themen, wenn es um jegliche Art von Mobilitätsangeboten geht, daher wollen wir die Aufklärung der Menschen über einen verantwortungsvollen Umgang unterstützen. Deshalb gibt es auch gemeinsame Anstrengungen in Städten wie Oslo, wo wir in Partnerschaft mit anderen Betreibern eine externe Fußpatrouille gestartet haben. Die Fußpatrouille kümmert sich um die Ordnung im öffentlichen Raum, zum Beispiel um falsch geparkte Scooter. Darüber hinaus sind TIER, Dott und Voi gemeinsam Verpflichtungen eingegangen, wie z.B. die E-Scooter vollständig mit grüner Energie zu betreiben und sich nicht auf Gigworker zu verlassen, die die E-Scooter aufladen. Was am Ende allen Endnutzern - und damit meine ich alle Stadteinwohner - zugutekommt.
Obwohl die Mikromobilitätsbranche noch sehr jung ist, haben wir viel gelernt und unseren Service ständig verbessert. Als wir unseren Betrieb in unserer ersten Stadt Wien aufgenommen haben, war unsere Hardware noch recht einfach. Drei Jahre später haben wir verschiedene Funktionen und Verbesserungen implementiert, die den Bedürfnissen unserer Nutzer besser gerecht werden und langlebiger und nachhaltiger sind.
Nastya Koro, User Research und Urban Mobility bei Tier
Wer nutzt hauptsächlich E-Scooter und Mopeds und warum?
Etwa zwei Drittel der TIER Nutzer sind Stadtbewohner zwischen 18 und 34 Jahren, während der Rest über 35 Jahre alt ist. Was die Aufteilung der Geschlechter betrifft, so hat TIER die gleiche Anzahl wie in der gesamten Mikromobilitätsbranche: etwa 70% männliche und 30% weibliche Nutzer. In den jüngeren Nutzergruppen haben wir mehr weibliche Nutzer. Haben Frauen andere Ansprüche an einen E-Scooter als Männer? Im Allgemeinen ist das Bedürfnis, von A nach B zu kommen, für alle und für jede Art von Transportmittel gleich, aber wenn es um die Gender Lens geht, gibt es unterschiedliche Use Cases und unterschiedliche Bedürfnisse bei Männern und Frauen.
Was unterscheidet denn die Mobilität eurer Kundinnen von der eurer Kunden?
Es ist bekannt, dass Tripchain - eine Kombination aus mehreren miteinander verbundenen Fahrten, und auch viel Laufen - typisch für Frauen auf der ganzen Welt ist. Sie neigen dazu, häufiger die Verkehrsmittel zu wechseln als Männer und haben typischerweise komplexere Fahrten, auch aufgrund der Kombination von Familienpflege und Arbeit, was leider immer noch im größten Teil der Welt der Fall ist. Wenn wir von Frauen sprechen, die Mikromobilität nutzen, bedeutet das, dass sie eher dazu neigen, multimodale Angebote zu nutzen.
Also sind Frauen die perfekte Zielgruppe für Anbieter von Mikromobilität.
Neuere Studien zur Shared Mobility zeigen, dass Frauen typischerweise zurückhaltender sind, wenn es um Shared Mobility im Allgemeinen geht und dass sie sicherheitsbewusster sind. Dies erklärt die relativ geringe Zahl, die wir unter den weiblichen Mikromobilitätsnutzern sehen. Gleichzeitig sind Frauen auch eher geneigt, nachhaltige Verkehrsmittel wie zum Beispiel Elektroautos zu wählen ,was ein weiterer Grund ist, als Mobilitätsanbieter inklusiver zu sein. Wir stehen noch am Anfang unseren auf Frauen fokussierten Forschungsprojekten, es gibt also noch mehr zu lernen, aber wir sind stolz darauf, dass wir die ersten unter den Mikromobilitätsunternehmen sind, die sich tiefer mit diesem Thema beschäftigen.
Was müsste passieren, damit mehr Frauen in der Stadt Mikromobilität nutzen?
Es gibt eine Menge, was für Frauen getan werden kann - und es bedarf gemeinsamer Anstrengungen von Mobilitätsanbietern, Politikern und Stadtplanern, um die Mobilität für die weibliche Hälfte der Bevölkerung zu verbessern. Die Vision von TIER ist es, den Weg zu einer nachhaltigen und inklusiven Mobilität anzuführen, was mit einer Herausforderung einhergeht, die für die gesamte Branche gleich ist. Mit einem Anteil von nur 22% der in der Mobilitätsbranche beschäftigten Frauen sind die Produkte immer noch sehr männerzentriert. Um mehr Nutzerinnen zu gewinnen, müssen Unternehmen bei der Gestaltung von Mobilitätsdienstleistungen verschiedene Perspektiven berücksichtigen - die ihrer Mitarbeiter*innen und der Nutzer*innen.
Was unternehmt ihr als Unternehmen konkret?
TIER hat verpflichtet, mehr Frauen einzustellen - auch in Führungspositionen. Von der Nutzerforschungsseite her untersuchen wir das Mobilitätsverhalten von Frauen und versorgen TIER mit Nutzerinsights. Nachdem wir gelernt haben, dass Frauen bei der Nutzung neuer Mobilität sicherheitsbewusster sind, hat die Initiative Women of Tier mit Unterstützung von unseren TIER Kollegen ein Moped-Training für weibliche Erstnutzer angeboten, um ihnen zu helfen, mögliche Barrieren zu überwinden. Wir haben erstaunliches Feedback erhalten und planen, das Projekt in anderen Städten fortzusetzen. Gemeinsam mit städtischen Beamten organisiert TIER E-Scooter-Trainings - das letzte fand letztes Jahr in Stuttgart statt. Außerdem hat TIER verschiedene Partnerschaften, z.B. Women's Night Safety Charter - und weitere sind im Kommen. Aber es braucht mehr als ein Unternehmen, um ein besseres Gleichgewicht in der Mobilitätsbranche zu schaffen. Ich wünsche mir, dass auch andere Mobilitätsanbieter anfangen, darüber nachzudenken, was sie für Nutzerinnen besser machen können, damit sich die Mobilität für alle besser wird.
Lässt sich auch durch die Bauweise der E-Scooter der Gender Gap beeinflussen?
Die Ergonomie ist definitiv ein wichtiger Punkt, den man berücksichtigen muss. Eine nicht angepasste Mobilität für Frauen kann lebensbedrohlich sein. Ich war schockiert, als ich auf eine Studie über Autounfälle stieß:
Frauen haben ein um 17% höheres Risiko, bei einem Autounfall getötet zu werden als Männer.
Ihr Risiko, schwer verletzt zu werden, ist um 73% höher, weil die Autohersteller immer noch männliche Crash-Dummies verwenden, die die weiblichen Körpermaße nicht berücksichtigen.
Wie geht ihr damit um?
Verschiedene Teams untersuchen ständig verschiedene Fahrzeugteile auf bessere Ergonomie. Was wir bereits erreicht haben, ist, den sichersten E-Scooter auf dem Markt anzubieten. Seit letztem Jahr bietet TIER auch faltbare Helme an, die an den Scootern befestigt werden können, was ebenfalls zu mehr Sicherheitsgefühl beiträgt. Wenn es um die Ergonomie der TIER Mopeds geht, schätzen unsere Kunden, dass sie leichter zu lenken und zu parken sind, und Nutzerinnen kommentierten, dass sie sie besser handhaben können wegen des geringeren Gewichts und der besseren Manövrierbarkeit.
Was ist dem deutschen Stadtmenschen bei Mikromobilität besonders wichtig?
Dem Mobilitätsverhalten liegen viele Motive zugrunde, und unterschiedliche Verkehrsmittel bedienen unterschiedliche Anwendungsfälle. Zunächst einmal ist es für die Stadtbewohner wichtig, flexibel und unabhängig in der Wahl des Verkehrsmittels zu sein: Für kürzere Fahrten nehmen sie E-Scooter, und wenn sie mit jemandem zusammenfahren wollen, nutzen sie Mopeds. Das Gleiche gilt für längere Strecken. In einigen städtischen Gebieten gibt es immer noch keinen vollständigen Zugang zu Transportmöglichkeiten, daher schätzen die Stadtbewohner zusätzliche Mikromobilitätsoptionen fürs Pendeln. Ein weiteres wichtiges Motiv ist das Streben nach einem gesunden Lebensstil, der sich in der Wahl von Radfahren, Gehen und anderen aktiven Mobilitätsoptionen niederschlägt.
Diese Geschäftsmodelle bietet TIER in Deutschland an
❖ Sharing: Nutzer*innen können die E-Scooter und Mopeds über die TIER App für spontane Fahrten mieten.
❖ Fleet-Management: Unternehmen, die nachhaltige Verkehrsmittel fördern wollen, können über TIER for Business App Zugang zur TIER Flotte erhalten.
❖ Besitz: Privatleute können sich mit myTIER einen E-Scooter für den privaten Gebrauch kaufen.
Wofür nutzen die Menschen euer Angebot?
Die meisten Nutzer fahren E-Scooter überwiegend für die gesamte Strecke von A nach B. Ein großer Prozentsatz nutzt sie für die "erste/letzte Meile", indem die Nutzer sie mit öffentlichen oder anderen Verkehrsmitteln kombinieren und zum Beispiel mit dem E-Scooter zum Bahnhof fahren und danach den Zug nehmen. Bei der Untersuchung der Hauptgründe für die Wahl von Mikromobilität gegenüber anderen Optionen fand unser User Research Team heraus, dass diese mit Zeiteffizienz, Autonomie und Flexibilität zusammenhängen. Manchmal wollen Menschen ihre Fahrten so genießen, wie es für sie zeitlich am sinnvollsten ist. Oder manchmal gibt es keine direkte oder bequeme Verbindung, so dass die Nutzer je nach zurückzulegender Strecke entweder auf einen E-Scooter oder ein Moped aufspringen und so schneller und ohne Kontakt zu anderen an ihr Ziel kommen.
Ohne Kontakt zu anderen?
Während des Lockdowns begannen mehr Menschen, Mikromobilität als sozial distanzierte Transportoption zu wählen, um sich und andere zu schützen. Eine weitere Lektion, die wir während der Pandemie gelernt haben, war die sehr greifbare Auswirkung von Staus, die sich direkt auf unsere Gesundheit auswirken, so dass die Stadtbewohner ihre Mobilitätsroutine überdachten. Wir alle haben gesehen, wie sich Paris während des Lockdowns auf magische Weise verwandelt hat; mit einer massiven Anzahl von Pendlern, die auf den Pop-up-Fahrradwegen entlang der Rue de Rivoli fuhren. Ein relativ neuer Trend auf dem Vormarsch ist die Nutzung der multimodalen Mobilität als neue Form des Status.
Sind E-Scooter und Mopeds die neuen Dienstwagen?
Wir sind soziale Wesen, und Mobilitätsverhalten gehörte schon immer zu einer der Möglichkeiten, sich in der Gesellschaft zu positionieren. Während in den vergangenen Jahrzehnten viele einen SUV als Demonstration ihres sozialen Status wählten, wurde in den letzten Jahren das Bewusstsein für die Klimakrise geschärft und die Menschen begannen, eine nachhaltigere Mobilität als Alternative zu wählen. Nachhaltige Mobilität wurde zu einer Möglichkeit, seine eigene Werte zu kommunizieren.
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