„Wirklicher Wandel entsteht, wenn wir über den Tellerrand hinausblicken und eine integrative Mobilität schaffen, die alle mitnimmt.“
- womeninmobility
- 17. März
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WiM macht sich stark für eine feministische Mobilitätswende. Dieses Thema beschäftigt nicht nur uns, sondern auch die Zukunftsforschung. Wir haben mit Carolin Becker gesprochen, die in ihrem Masterstudium an der FU Berlin zukünftige Mobilitätsentwürfe in deutschen Städten aus feministischer Perspektive untersucht hat.

Carolin Becker arbeitet in einem Wirtschaftsverband an einem Projekt, das durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die EU gefördert wird. Ihr Fokus: Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz. Schon in ihrem Studium beschäftigte sie sich mit Geschlechterrollen.
In ihrer Masterarbeit im inter- und transdisziplinären Master Zukunftsforschung widmete sie sich der Gestaltung nachhaltiger urbaner Mobilität aus feministischer Perspektive. Ein Thema, das sie gewählt hat, weil der Aspekt Gender in der bisherigen Betrachtung ihrer Meinung nach zu kurz kommt, wie sie erzählt.
„Ich bin leidenschaftliche ÖPNV-Nutzerin und habe während meines Studiums berufliche Stationen in einem bundesweit tätigen Mobilitätsunternehmen und im Policy Design für Energie- und Klimaschutz im Handlungsfeld Mobilität in Berlin. Dabei ist mir aufgefallen: Die Mobilitätswende ist ein entscheidendes Wirkungsfeld von Transformationsbemühungen hin zu Nachhaltigkeit und Lebensqualität – gerade in urbanen Räumen. Bei der Gestaltung dieser Transformationsprozesse werden allerdings genderspezifische Mobilitätsbedürfnisse – wie Ansprüche an Barrierefreiheit oder komplexere Wegeketten - oftmals vernachlässigt bis hin zu gar nicht berücksichtigt. Das hat mich gestört.“
In ihrer Masterarbeit beleuchtet sie, wie die Gestaltung dieser städtischen Mobilitätssysteme oft die Bedürfnisse von Menschen mit Care-Verantwortung (also insbesondere Frauen*) und mobilitätseingeschränkte Menschen übergeht.
Nachhaltige urbane Mobilitätskonzepte in Deutschland seien häufig androzentriert, sodass das Mobilitätsmuster des „erwerbstätigen Mannes“ als unhinterfragte Norm genutzt wird. Dabei dominiert vor allem ein technologischer Fokus, der sich durch die Überbetonung von innovativen, scheinbar smarten, eleganten Lösungen wie z.B. E-Mobilität oder Mikro-Mobilitätsangeboten zeigt.
Diese sind allerdings zumeist nur unzureichend kompatibel mit den Lebensrealitäten und Bedürfnissen von Menschen, die komplexe Wegeketten haben – etwa durch Einkäufe, Begleitfahrten von Kindern oder den Besuch von zu pflegenden Angehörigen.
Es gibt jedoch auch Städte, die besser auf diese Bedürfnisse eingehen. „In der Planung bin ich vor allem immer wieder über die Stadt Wien gestolpert: Die Integration einer Genderperspektive unterliegt in der Praxis oft einer klaffenden Umsetzungslücke, die die Notwendigkeit von sogenannten Change Agents auf institutioneller Ebene unterstreicht." Change Agents sind Menschen, die gesellschaftlichen Veränderungen wie auch die Gestaltung einer feministischen Mobilitätswende anstoßen und vorantreiben. Im Fall der Gestaltung zukünftiger nachhaltiger urbaner Mobilität sind diese Personen insbesondere in behördlichen und kommunalen Strukturen erforderlich. "Die Stadt Wien hat solche Akteur:innen schon seit Jahren erfolgreich verankert“, sagt Carolin.
Wien verfolgt seit über 20 Jahren konsequent einen geschlechtssensiblen Planungsansatz. Heute gilt Gender Mainstreaming als zentrales strategisches Arbeitsfeld der Wiener Stadtplanung, das sich von Stadtentwicklungsplänen über Masterpläne bis hin zu Einzelprojekten erstreckt. Die Erfahrungen aus den zahlreichen Projekten sind im Handbuch „Gender Mainstreaming in der Stadtplanung und Stadtentwicklung“ dokumentiert.
Städten und Kommunen, die sich ein Beispiel an Wien nehmen möchten, empfiehlt sie das Gender Impact Assessment (GIA). Dieses Bewertungsinstrument aus der Folgenabschätzung basiert auf dem Prinzip des Gender-Mainstreamings und hilft, die Auswirkungen von (klima-) politischen Vorhaben auf verschiedene Geschlechter systematisch zu analysieren.
Im Mobilitätsbereich bedeutet das, Mobilitätsangebote, Infrastrukturen sowie das Verhalten und die Bedürfnisse der Menschen genauer zu betrachten. „Das Gender Impact Assessment ist ein schönes Tool, das als Suchscheinwerfer genutzt wird, um Missstände oder Reflexionsprozesse in der Planung sichtbar zu machen“, sagt sie. „Man arbeitet da an verschiedenen Lebensbereichen, wie z. B. Sorgearbeit, Erwerbsökonomie, öffentliche Ressourcen und Infrastrukturen, Definitions- und Gestaltungsmacht, Körper, Gesundheit und Sicherheit.“
Menschen in der Planung sollen durch den GIA-Prozess besser verstehen, wie ihre Vorhaben verschiedene gesellschaftliche Gruppen beeinflussen. Dabei geht es nicht nur um Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sondern auch um andere soziale Faktoren, die Benachteiligung verstärken können. Mit einem Fragekatalog werden die Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche geprüft – zum Beispiel auf Sorgearbeit oder den Zugang zu öffentlichen Räumen und Infrastrukturen. So lassen sich gezielt Maßnahmen ableiten, um etwa nachhaltige Mobilität in einer Stadt so zu gestalten, dass sie für alle passt.
Im Fall einer neuen Buslinie könnte man auf der Ebene Sorgearbeit überlegen, inwieweit die Strecke auch zu Zentren führt, die Bedürfnisse wie Einkaufsstätten, Kinderbetreuung oder ähnliches abdecken. Beim Bus selbst wäre zu prüfen: Wie ist der konstruiert? Ist er gut für eine Person, die einen Kinderwagen platzieren muss? Finden ein Kinderwagen und ein Rollstuhl darin Platz?
Carolin Becker, Projektmanagerin FairFuture 'Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz fördern' beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW)
Gleichzeitig ist entscheidend, mit klaren Begrifflichkeiten zu arbeiten. Sowohl der Begriff der Nachhaltigkeit als auch der Mobilität benötigen eine klare Definition, da ein unzureichendes Verständnis zu Einschränkungen oder Verzerrungen in der Ausrichtung von nachhaltiger Mobilitätsplanung führen kann. Ein erweitertes Nachhaltigkeitsverständnis, das auch feministische Anliegen berücksichtigt, kann dabei helfen, das Spektrum zu erweitern. Ein solches integratives Konzept ergänzt die bisherigen, oft rein quantitativen Ziele der Klimapolitik, wie etwa Treibhausgasminderungsziele, um qualitative Aspekte, die häufig genderrelevante Themen aufgreifen. Auch der Mobilitätsbegriff ist eindeutig zu verwenden: Ein hilfreicher Ansatz kann hier das New Mobilities Paradigm sein, das auch die individuellen Hintergründe und gesellschaftlichen Sinnhorizonte von Mobilität berücksichtigt. Dieser Ansatz bietet einen geeigneten Rahmen, um Genderaspekte systematisch zu integrieren und eine nachhaltige, inklusive Mobilität zu fördern.
Die Untersuchungen zu den Zusammenhängen zwischen Gender und der Gestaltung nachhaltiger urbaner Mobilität können wertvolle Erkenntnisse für strukturelle Veränderungsprozesse liefern. Carolin hebt hervor, dass die Zukunftsforschung hierbei einen produktiven Rahmen bieten kann, um diese Erkenntnisse gezielt zu integrieren, wie etwa innerhalb der Methode des Integrierten Roadmappings. „Beim integrierten Roadmapping hat man zwei Zeithorizonte – z.B. 2030 als Zwischenziel und 2045 als langfristiges Ziel“, sagt sie. Es sei entscheidend sei, über „Planungsaspekte in diesem integrierten Ansatz mehrdimensional und unter Berücksichtigung von Folgen und Nebenwirkungen aufzuschlüsseln, sodass man dynamische Betrachtungsweise hat und anpassungsfähig in der Umsetzung bleibt“

Für sie ist eine gendergerechte inklusive Mobilität aber nicht nur eine Frage der Planung, sondern auch der Kultur und des bewussten Umdenkens in der Gesellschaft. „Veränderung muss auf einer Bedürfnisorientierung basieren, um nachhaltig zu wirken und zu zeigen, dass der entsprechende Wandel allen zugutekommen“, sagt Carolin.
Trotz der klaren Chancen, die eine bedürfnisorientierte, sozial gerechte und inklusive Gestaltung von nachhaltigen Mobilitätszukünften bietet, stellt Becker auch fest, dass die Umsetzung mit Herausforderungen verbunden ist. Insbesondere der zusätzliche Planungsaufwand und politische Hürden wie Haushaltskürzungen könnten die Einführung einer integrativen Mobilitätswende erschweren. Doch sie ist überzeugt, dass langfristige und interdisziplinäre Ansätze notwendig sind, um die Mobilitätswende für alle umzusetzen. „Wenn man von Anfang an menschenzentrierte Planung verfolgt und auch partizipative Elemente einbezieht, wird der Wandel langfristig erfolgreicher.“
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