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„Es kommt immer anders als im Studium oder Lehrbuch beschrieben.“

Antje Bredfeldt ist die „Herrin der Automaten“: seit Ende der 1980er Jahre arbeitet sie bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Seit 2007 arbeitet sie dort im Bereich Vertrieb und Marketing. Mit uns hat sie über ihren Job und 35 Jahre bei der BVG gesprochen.

Seit dem 1. Mai wurden rund 11 Millionen Deutschland-Ticket-Abos verkauft. 23 Prozent davon als Handyticket in der App, wie Zahlen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zeigen. Insgesamt nutzt jede:r vierte Deutsche ÖPNV-Tickets auf dem Smartphone. Vom Einzelfahrschein bis zum Abo-Ticket. In Ballungsräumen und bei Jüngeren sind die digitalen Fahrkarten weiter verbreitet als im Durchschnitt. So setzen 44,8 Prozent der 18-29-jährigen auf digitale Tickets.


Mit der zunehmenden Nutzung von digitalen Tickets auf dem Smartphone und der Chipkarte nimmt auch die Anzahl der Fahrkartenautomaten in Deutschland ab. 2022 befanden sich noch rund 5.600 Fahrkartenautomaten im Besitz der Deutschen Bahn. Im Jahr 2009 waren es noch über 8.200.

In der Bundeshauptstadt sind rund 1000 Automaten im Einsatz, stationäre an Haltestellen wie auch mobile in den Bahnen. Circa 700 davon gehören den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG).

Eine, die bei der BVG seit Jahren für diese Automaten verantwortlich ist, ist Antje Bredfeldt. „Herrin der Automaten“, so wurde sie einmal von einer Kollegin beim VDV genannt. Der Beiname ist bis heute geblieben.


Für Technik habe sie sich schon immer interessiert. In der neunten Klasse habe sie Physik und Programmieren gewählt. Dass sie mal für Berlins Ticketautomaten zuständig sein würde, war dagegen historisch bedingt, erzählt sie. „Ich war 15, als ich beschlossen habe, ich könnte ja Facharbeiter für Nachrichtentechnik werden.“ Und zwar bei den Berliner Verkehrsbetrieben Ost, der BVB. Dort war ihre Mutter, Maschinenbauingenieurin, seit 1985 Ausbilderin in der Grundausbildung für die Facharbeiter für städtischen Nahverkehr. Sie habe ihr quasi den Lehrvertrag mit nach Hause gebracht. „Der Plan war, dass ich bei der BVB die Ausbildung mache und danach nach Dresden gehe an die Verkehrshochschule. Und dann im – heute würde man sagen - mittleren und oberen Management arbeite.“ Also fing Antje 1988 ihre Ausbildung zum Facharbeiter für Nachrichtentechnik bei der BVB in Ostberlin an. Sie lernte, wie man Telefone repariert und Telefon- und Uhrenanlagen installiert.

Das hätte vielleicht funktioniert, weil meine Mutter die einzige weibliche Ausbilderin in der Grundausbildung bei der BVB war und das Interesse diverser Führungskräfte in anderen Ebenen geweckt hatte. Und weil so ein Apfel meist nicht allzu weit vom Stamm fällt, wäre das sicher eine Chance für mich gewesen.

Antje Bredfeldt, Hauptsachbearbeiterin / Automatisierter Vertrieb bei der BVG


Dann kam die Wende. „Ich war mitten in der Lehre, hab das erste Lehrjahr hinter mir gehabt und es war nicht klar, wie es mit uns weitergeht“, sagt sie. „Jeden Monat hörten wir etwas anderes: von „die schmeißen uns raus“ über „wir müssen die Lehre nochmal von vorne anfangen“, bis zu „wir sind mit dem Beruf am Ende“ war alles dabei.“


Von der Reparatur der Entwerter bis zur Bauleitung beim BER

Antje sei 17 gewesen, als es von Seiten der Berliner Verkehrsbetriebe hieß, dass sie und die anderen Auszubildenden die Lehre dort beenden könnten. „Weil wir nur sieben Leuten waren, haben sie uns letztlich doch übernommen.“ Allerdings nicht als Nachrichtentechniker, sondern in der Wartung und Reparatur der Fahrscheinautomaten und Entwerter. Seit Anfang der 2000er Jahre sind alle Automaten mit Überwachungssystemen verbunden, die es ermöglichen, den Zustand der Automaten in Echtzeit zu überwachen und sie zu reparieren, bevor sie kaputt gehen. Stichwort Predictive Maintenance.


Mit 30 habe sie beschlossen, nicht bis zur Rente Fahrkartenentwerter reparieren zu wollen. Inspiriert von ihrer Mutter, die in den 1970er Jahren neben dem Job und der Familie abends Maschinenbau studierte, begann Antje ein Abendstudium in Wirtschaftsinformatik. Mittlerweile ist sie seit rund 35 Jahren bei der BVG. Heute kümmert sie sich um die planerische Seite der Automaten, überwacht Baumaßnahmen und Tarifstrukturen. Sie sorgt dafür, dass die Automaten an den Haltestellen platziert werden und koordiniert alle relevanten Aspekte, von der Oberflächengestaltung bis zur Bestellung der Automaten. Antje hatte so auch die koordinierende Bauleitung für die BVG-Automaten beim Flughafenprojekt BER übernommen.

Die Zusammenarbeit mit externen Firmen empfinde sie grundsätzlich als sehr spannend. “Das bringt einen menschlich und fachlich immer weiter“, sagt sie. Deshalb habe ihr auch die gemeinsame Arbeit an einem Lastenheft des VDV großen Spaß gemacht: Ihr damaliger Chef habe sie als Expertin der BVG in die Arbeitsgruppe des Verbandes geschickt. „Der hat sich wahrscheinlich gedacht: Ich muss eh die Bredfeldt fragen, weil die Ahnung hat. Dann kann ich sie auch gleich hinschicken.“

In wechselnden Besetzungen haben Fachleute verschiedener Verkehrsunternehmen und Verbünde gemeinsam vier Musterlastenhefte mit Empfehlungen für verschiedene Ticketautomaten geschrieben. „Das war der Knaller“, sagt Antje.

Dabei sei die Gruppe selten einer Meinung gewesen; manchmal habe es ganz schön geknallt. Zum einen, weil alle Anwesenden aus verschiedenen Verkehrsunternehmen und damit Städten kamen, die ganz individuelle Ansichten haben. Zum anderen, weil es eben wie immer auch menschelt, und Antje von sich selbst sagt, das Geduld nicht ihre Kernkompetenz ist.

Trotzdem sei es eine großartige Erfahrung gewesen. Zusätzlich bildeten sich in dieser Zeit berufliche Freundschaften, die bis heute andauern. Trotz aller Reibereien.


Es ist bis heute kein Problem, bei Fragen, Sehnsucht oder auch einfach so den Telefonhörer zu nehmen und sich durch die Republik zu telefonieren. Ich versuche jetzt auf der INNOTRANS ein persönliches Treffen hinzubekommen.

Antje Bredfeldt, Hauptsachbearbeiterin / Automatisierter Vertrieb bei der BVG


Elke Fischer, ehemalige Mitarbeiterin des VDV eTicket Service und Teil der Arbeitsgruppe, hat ihr damals den Namen „Herrin der Automaten“ verpasst.


Technisches Verständnis, Pragmatismus und Organisationstalent sind wichtig

Ihr Studium der Wirtschaftsinformatik sei für ihre Aufgaben nicht zwingend nötig gewesen, es schade aber auch nicht, sagt sie. Technisches Verständnis sei für ihren Beruf aber unerlässlich. „Die Dinger bestehen aus ein bisschen Blech und ganz viel Technik, damit muss man sich schon auskennen“, sagt sie. Was die Soft Skills angehe, brauche es in ihrem Job vor allem Organisationstalent, Pragmatismus, Empathie, die Fähigkeit zu Priorisieren, Humor und Neugier. „Ich muss mit verschieden Menschen aus verschiedenen Ländern, Berufen, Positionen und Erfahrungen so zusammen zu arbeiten, dass alle am Ende stolz sagen: Das war mein Projekt!“


So arbeite sie zum Beispiel mit der Marketing-Abteilung zusammen, um die unterschiedlichen Event-Tickets, die am BVG-Automaten gekauft werden können, umzusetzen. Dafür steht sie im Kontakt mit den Kolleginnen aus dem Marketing, aber auch der Messe Berlin, dem Zoo oder dem Berliner Kriminaltheater. Auch das mache ihr großen Spaß. „Die Zusammenarbeit ist ziemlich cool und wenn ich doch einmal sagen muss: „Also bei allem Verständnis, das geht technisch leider überhaupt nicht“, dann ist das auch ok.“

Einen typischen Arbeitstag habe sie nicht. Das sei etwas, was sie an ihrem Job schätze. So gebe es Bürotage, an denen sie sich durch Mails mit Bauprotokollen, Anfragen für Kooperationen, Wünschen des Marketings, Kundenbeschwerden oder Anfragen der Polizei zwecks Amtshilfe kämpfe. An anderen Tagen sei sie auf der Baustelle unterwegs und an wieder anderen wuppte sie Projekte zur Neubeschaffung der Vertriebstechnik. Die koordinative Bauleitung beim BER für die Automaten sei zum Beispiel sehr abwechslungsreich und spannend gewesen. „Wenn man dann noch die Kuh vom Eis bekommt, das macht schon stolz.“


Was mich tierisch nervt, ist wenn man mit Leuten über Automaten oder Ausschreibungen diskutieren muss, die nur mit Mühe wissen, dass ein Automat viereckig ist. Und die dann auch nicht die Fachleute fragen. Wenn ich etwas nicht weiß, frage ich immer Leute, die Ahnung haben

Antje Bredfeldt, Hauptsachbearbeiterin / Automatisierter Vertrieb bei der BVG


Nach 35 Jahren könne sie sich grundsätzlich schon vorstellen, auch mal etwas anderes zu erleben, als immer nur Berlin und die BVG. Manchmal gebe es auch Jobs außerhalb des Unternehmens, die sie reizen. Einer der Gründe, warum sie bisher trotzdem nie in die Versuchung gekommen sei, zu wechseln, sei, dass sie relativ frei in ihrer Arbeits- und Zeitgestaltung sei. „Ich kann morgens früh um sechs Uhr auf eine Baustelle fahren und um neun Uhr die Arbeit für zwei Stunden unterbrechen. Anschließend kann ich im Home-Office weiterarbeiten." Wobei sechs Uhr nicht ihre Zeit sei. „Ich bin eher die Eule ... Wenn es geht, fange ich nicht vor 09:30 Uhr an… Dann darf es aber ruhig auch spät werden. Gerade in den heißen Endphasen von größeren Baumaßnahmen wie beim BER oder der Verlängerung der U5 wird es ziemlich spät.“

Sie liebe es vor allem, mit verschiedenen Menschen an gemeinsamen Zielen zu arbeiten und Lösungen zu finden. Weil gerade Baumaßnahmen nie nach Plan laufen, müsse man eigentlich immer kreativ und kompromissfähig sein. Wer ihren Job machen wolle, müsse „sich darauf einlassen können, dass es immer anders kommt, als im Studium oder Lehrbuch beschrieben.“ Und vor allem Spaß daran haben mit einer Vielzahl von Menschen eine Vielzahl von Herausforderungen zu meistern.


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