Wie bedingen sich Haushaltseinkommen und weibliches Mobilitätsverhalten? Beim Verständnis stehen wir stehen noch ziemlich am Anfang
- womeninmobility
- 24. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Die kommende UN-Dekade für nachhaltigen Verkehr (2026–2035) setzt auf Klimaschutz, Effizienz - und sichere Mobilität weltweit. Mit dem internationalen „Call for Impact: No one left behind“ fordert die Global Alliance for Feminist Transport darüberhinaus, dass Mobilitätssysteme weltweit auch die Bedürfnisse von Frauen, pflegenden Angehörigen und benachteiligten Gruppen konsequent mitdenken. Wir haben mit Viviane Weinmann (GIZ) über die zehn strategischen Ziele des Calls gesprochen - und ihn unterzeichnet.

Die UN-Dekade für nachhaltigen Verkehr (2026–2035) zielt darauf ab, Mobilität weltweit umweltfreundlicher, sozial gerechter und wirtschaftlich tragfähiger zu gestalten. Doch echte Nachhaltigkeit gelingt nur, wenn auch Fragen der Gerechtigkeit und Teilhabe systematisch mitgedacht werden.
Mit dem „Call for Impact: No one left behind“ setzt die Global Alliance for Feminist Transport genau dort an – und formuliert zehn konkrete Ziele für eine feministische Verkehrswende. "Meine Kollegin Hannah Behr ist heute im UN-Sekretariat in Genf und präsentiert dort die Zehn strategischen Ziele, die wir unter der internationalen Netzwerk-Initiative „Global Alliance for Feminist Transport“ als Publikation sowie als Poster herausgeben", sagt Viviane Weinmann, Verkehrsplanerin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH.
Die kommende UN-Dekade für nachhaltigen Verkehr (2026-2035) ist eine internationale Initiative, die darauf abzielt, den Verkehrssektor umweltfreundlicher, sozial gerechter und wirtschaftlich effizienter zu gestalten. Im Fokus stehen die Reduzierung von Treibhausgasemissionen, die Förderung sauberer Mobilitätslösungen und der Ausbau sicherer sowie inklusiver Verkehrssysteme. Aktuell befindet sich der Verkehrssektor weltweit noch in einer Phase intensiven Wandels: Während alternative Antriebe und digitale Vernetzung Fortschritte bringen, verursachen Verkehr und Logistik weiterhin einen erheblichen Anteil an CO2-Emissionen und weiteren Umweltbelastungen.
Für Deutschland ist diese Dekade besonders wichtig, da das Land sowohl hohe Umweltziele verfolgt als auch auf effiziente Verkehrsinfrastruktur für Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen ist. Die Dekade bietet eine Chance, Innovationen zu fördern, den Klimaschutz voranzutreiben und die Lebensqualität in Städten und Regionen durch nachhaltige Mobilitätskonzepte zu verbessern. Insbesondere die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen, älteren Personen und Familien müssen stärker berücksichtigt werden.
Gleichzeitig eröffnet die UN-Dekade die Möglichkeit, soziale Gerechtigkeit und Inklusion stärker in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik zu rücken. Mit dem internationalen „Call for Impact: No one left behind“ ruft die Global Alliance for Feminist Transport dazu auf, Mobilitätssysteme so zu gestalten, dass sie die Bedürfnisse von Frauen, pflegende Angehörige und benachteiligte Gruppen vollständig berücksichtigen. Zehn strategische Ziele – darunter gerechter Zugang, die Erhebung geschlechtergerechter Daten, Repräsentation in Entscheidungsprozessen sowie gezielte Finanzierung – sollen dazu beitragen, diskriminierende Strukturen im Verkehr abzubauen und echte Teilhabe für alle zu ermöglichen. WiM ist eine von über 25 Organisationen, die diesen Call for Impact mitunterzeichnet haben.
Den „Call for Impact“ und das dazugehörige Poster findet ihr zum Download hier: Call for Impact to Center Equity & Inclusion in the UN Decade of Sustainable Transport • The Global Alliance for Feminist Transport
Die Idee kam in einem Informationsmeeting der Organisation SLOCAT, die die UN zur Umsetzung der nächsten UN-Dekade berät. Wir erfuhren, dass aktuell der Umsetzungsplan für die UN-Dekade erarbeitet wird, aber noch unklar ist, inwiefern gendertransformative Ansätze integriert sind. Wir wollen mit dem „Call for Impact“ sicherstellen, dass allen Beteiligten die Herausforderungen und Lösungsansätze für inklusivere Verkehrssysteme bekannt sind und diese ihren Weg in den Umsetzungsplan finden.
Viviane Weinmann, Verkehrsplanerin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH
Viviane bemängelt, dass es auch in der globalen Verkehrspolitik in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit noch viel zu große Lücken in der Datenlage gibt. Sie gibt ein Beispiel: "Wir haben vor zwei Jahren eine Studie in drei afrikanischen Städten in Auftrag gegeben, um das Mobilitätsverhalten von Frauen besser zu verstehen und Methodiken für eine gender-disaggregierte Datenerhebung zu pilotieren." Das sei in vielen Verkehrsprojekten leider nach wie vor eher Kür als Pflicht.
"Eines der Ergebnisse zeigte auf, dass sexuelle Belästigung auf ihren Wegen für fast alle Frauen sprichwörtlich auf der Tagesordnung steht. Gefragt wo die Verkehrspolitik ansetzen sollte, sagten die meisten Befragten allerdings, dass die Sorge sich die täglichen Fahrten zur Arbeit nicht mehr leisten zu können für sie noch vor der eigenen körperlichen Unversehrtheit steht." Für sie sei das ein Aha-Moment gewesen. "Wenn es darum geht, intersektionale Herausforderungen von Frauen weltweit zu verstehen, stehen wir noch ziemlich am Anfang. Wie bedingen sich Haushaltseinkommen und weibliches Mobilitätsverhalten? Und was ist mit weiteren Faktoren wie religiöse Zugehörigkeit, Ethnizität, prekäre Beschäftigung, etc.?"
Webinar Lectures zu verschiedenen Fragestellungen entlang des Dreiklangs „gender x intersectionality x mobility“: Lectures » WomenMobilizeWomen
Link zur Publikation: WIMT_Gender-Data-Report_2022.pdf
Link zur Gender Data Website mit allen Datensätzen, Gender Data Poster und weiteren Informationen zum Thema: Bridging the Gender Data Gap in Transport – WomenMobilizeWomen
Sie sagt aber auch, dass die nachhaltige Mobilitäts-Community in den letzten Jahren gute Fortschritte gemacht habe, diese Wissenslücken zu schließen und Best Practise Beispiele zu schaffen. Das Wissen müsse nun auch außerhalb der „gender & mobility bubble“ Anwendung finden. "Denn was bringen die besten Handlungsansätze und Ideen, wenn sie nicht großflächig dem Großteil der Gesellschaft zugutekommen?", so Viviane.
Die UN-Dekade sei daher ein guter Anlass, uns die nächsten 10 Jahre proaktiv vorzunehmen und den Wandel unter der „UN-Schirmherrschaft“ anzugehen.
Wir alle müssen sicherstellen, dass dabei die Ansätze für gendertranformativer und inklusiver Mobilität auch berücksichtigt werden. Denn leider sind die Zielsetzungen der UN-Dekaden nicht rechtlich bindend, d.h. Mitgliedsstaaten sind selbst in der Pflicht sich einzubringen und zu gestalten. Darin liegen Risiken, aber auch Chancen – aber nur für diejenigen, die sie nutzen.
Viviane Weinmann, Verkehrsplanerin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH
Was feministische Verkehrswende für uns bedeutet
Wir setzen uns seit Jahren dafür ein, die Mobilitätsbranche gerechter, diverser und inklusiver zu gestalten. Der Call spricht uns aus der Seele, weil viele seiner Forderungen mit unserem Verständnis einer feministischen Verkehrswende übereinstimmen:

Sie bedeutet, dass die Bedürfnisse aller Menschen ernst genommen werden – besonders jener, die vom Status quo regelmäßig übersehen werden: Frauen, queere Personen, Pflegeverantwortliche, Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen.
Diese Gruppen sind nicht einfach "mitzudenken". Sie müssen als aktive Mitgestalter*innen einer neuen Mobilitätsrealität anerkannt und eingebunden werden. Oder, wie Vivane eine gerechte Mobilität der Zukunft beschreibt: "Es existiert eine Vielzahl an Mobilitätsangeboten, so dass jede*r tagtäglich ein Verkehrsmittel wählen kann, das ihrem*seinem Portemonnaie, körperlichen Anforderungen und ihrem*seinem Sicherheitsgefühl entspricht und gleichzeitig unseren Planeten schützt."
Comments