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Neue Bahnchefin, alte Muster: Wie über Evelyn Palla berichtet wird

Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn hat entschieden: Evelyn Palla wird neue Vorstandsvorsitzende des Konzerns. Damit steht erstmals eine Frau an der Spitze der DB – ein historischer Moment für die Gleichstellung in der Mobilitätsbranche. Doch ein Blick auf die Medienberichterstattung offenbart: Auch 2025 werden Frauen in Führungspositionen noch immer anders bewertet als ihre männlichen Kollegen.

Business-Porträt von Evelyn Palla im dunklen Blazer vor einer Glasfassade, sie lächelt in die Kamera.
Bild: Evelyn Palla, DB-Vorstandsvorsitzende, Foto: Deutsche Bahn

Evelyn Palla bringt beste Voraussetzungen für den schwierigen Job mit. Die 1973 in Bozen geborene Südtirolerin studierte Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien mit Schwerpunkt Unternehmensführung, Controlling und Rechnungslegung. Ihre Karriere führte sie über verschiedene Stationen zu Siemens und schließlich 2019 zur Deutschen Bahn.

Bei der Bahn begann sie als Finanzvorständin bei DB Fernverkehr, bevor sie im Juli 2022 die Führung von DB Regio übernahm.

In dieser Position verantwortete sie monatlich etwa 780.000 Zugfahrten im Nahverkehr inklusive aller S-Bahnen. Unter ihrer Leitung schaffte DB Regio die Trendwende – sie brachte den lange defizitären Bereich in die Gewinnzone.

Palla besitzt einen Triebfahrzeugführerschein und kann selbst Züge fahren. Dieses praktische Verständnis für das operative Geschäft verschafft ihr in der Belegschaft Respekt und Glaubwürdigkeit.


Zwischen Qualifikation und Geschlecht: Die mediale Darstellung

Doch wie berichten die Medien über diese beeindruckende Karriere? Während bei männlichen Führungskräften selten deren Privatleben thematisiert wird, lesen wir über Palla regelmäßig: "verheiratet, drei Kinder", "Dreifache Mutter mit Triebfahrzeugführerschein" oder "die Mutter von drei Kindern". Sogar die Deutsche Bahn hatte bei der Ernennung Pallas zur Leiterin des Regionalverkehrs 2022 geschrieben "Vorstand wird jünger und weiblicher". In der Pressemeldung von damals betonte Aufsrat Michael Odenwald zwar ihre "mannigfachen Erfahrungen in der Branche", in der Überschrift standen allerdings Alter und Geschlecht im Fokus. Diese Information mag interessant sein, ist aber für die berufliche Qualifikation völlig irrelevant. Darüber, dass auch 2025 in Foren und auf Social Media neben ihrem Geschlecht und ihrem Familienstand auch noch ihr Aussehen bewertet wird, ganz zu schweigen.

In kritischen Analysen werden darüber hinaus ihre Leistungen kleingeredet oder in Frage gestellt. Der Tagesspiegel fragt etwa: "War Palla bei DB Regio wirklich so erfolgreich?" – eine Formulierung, die bei männlichen Managern mit ähnlichen Erfolgsbilanzen selten zu finden ist.


Besonders aufschlussreich ist ein Kommentar von Wolfgang Mulke (Funke Mediengruppe), der schreibt: "Bemerkenswert ist allein zunächst die Tatsache, dass in der Männerwelt Bahn künftig eine Frau im Führerstand sitzt. Doch für die Bewertung der Auswahl sollte dies keine Rolle spielen. Es ist zugleich ein Indiz für das Desinteresse der mit Großunternehmen bereits erfahrenen Manager am Job des Bahnchefs."

Hier wird Pallas Ernennung implizit als Zeichen dafür gedeutet, dass "die wirklich guten" männlichen Manager diesen Job nicht wollten. Weiter schreibt Mulke: "Wer wirklich gut ist, verdient anderswo viel mehr und muss sich nicht mit einer ständig nörgelnden Öffentlichkeit herumplagen [...] Der Verdacht liegt nahe, dass die Zahl der ernsthaften Bewerber überschaubar geblieben ist." Und schließlich: "Doch das spricht nicht gegen die Entscheidung, einerseits eine interne Lösung zu präferieren, andererseits eine Frau aus der Etage unter dem Vorstandschef nach oben zu hieven."

Das Wort "hieven" suggeriert, dass Palla nicht aufgrund ihrer Qualifikation, sondern gewissermaßen, als Notlösung befördert wurde, weil sich sonst niemand qualifiziertes gefunden hat.


Die Mechanismen geschlechtsspezifischer Berichterstattung

Diese Beispiele zeigen klassische Muster medial verzerrter Wahrnehmung:


  1. Der "Erste-Frau"-Fokus: Die ständige Betonung, dass Palla "die erste Frau" an der Bahnspitze ist, reduziert ihre Ernennung auf ihr Geschlecht statt auf ihre Qualifikation.

  2. Familiäre Rollenerwartungen: Die häufige Erwähnung ihres Familienstatus aktiviert unterschwellig Stereotype über die Vereinbarkeit von Familie und Führungsverantwortung – Fragen, die bei Männern praktisch nie gestellt werden.

  3. Legitimationszwang: Frauen müssen ihre Qualifikation stärker beweisen. Während männliche Manager als selbstverständlich kompetent gelten, werden bei Frauen die Erfolge häufiger hinterfragt oder relativiert.

  4. Abwertende Sprache: Begriffe wie "hieven" oder "Notlösung" würden bei männlichen Führungskräften mit vergleichbaren Qualifikationen selten verwendet.


Diese Berichterstattung ist nicht nur unfair gegenüber Evelyn Palla im Speziellen – sie hat weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen. Sie verfestigen nämlich Rollenbilder: Wenn Führungsfrauen primär als "Mütter" und "Ehefrauen" wahrgenommen werden, perpetuiert das traditionelle Geschlechterrollen. Auch kann eine solche Berichterstattung Nachwuchstalente abschrecken, weil junge Frauen sehen, dass sie selbst bei hervorragenden Leistungen anders bewertet werden als ihre männlichen Kollegen. Wenn weibliche Führung als "Experiment" oder "Notlösung" dargestellt wird, erschwert das den Aufstieg weiterer kompetenter Frauen. Und wir können nur dann die besten Köpfe für die wichtigsten Jobs finden, wenn alle gleich bewertet werden.

 

Fazit: Kompetenz vor Geschlecht

Etwas, was viele häufig als Argument gegen Frauenquoten einbringen, dass Kompetenz mehr gelten müsse als Geschlecht, wird in der Berichterstattung umgekehrt: Evelyn Palla hat diesen Job aufgrund ihrer nachgewiesenen Erfolge und ihrer umfassenden Branchenkenntnis erhalten – nicht weil sie eine Frau ist, und schon gar nicht als "Notlösung". Sie hat DB Regio aus den roten Zahlen geführt, verfügt über praktische Erfahrung im operativen Geschäft und genießt in der Belegschaft Respekt.

Es wäre an der Zeit, dies entsprechend zu würdigen – ohne Fokus auf Familienstand, Optik, ohne subtile Legitimationsfragen und ohne abwertende Formulierungen. Nur so schaffen wir eine Kultur, in der Führung nach Kompetenz beurteilt wird, nicht nach Geschlecht.

Die Deutsche Bahn bekommt eine qualifizierte Chefin. Das sollte die Schlagzeile sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Porträt von Evelyn Palla im roten Blazer, die in die Kamera lächelt. Oben rechts das Logo von Women in Mobility. Links unten ein gelbes Textfeld mit der Aufschrift „Weichenstellung: Gleichberechtigung“.
Teilt dieses Bild gerne in euren Social Media-Kanälen, Foto: Deutsche Bahn

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