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Autonom, aber nicht automatisch gerecht

Autonomes Fahren steht für Fortschritt und die Mobilität der Zukunft. Wenn München ab 2026 zum Testfeld für Robotaxis wird, entscheidet sich, ob diese Zukunft inklusiv wird oder bestehende Ungleichheiten einfach digital fortschreibt.

Symbolisches München-Straßenmotiv im warmen Abendlicht mit einem Radfahrer, einer Frau mit Kinderwagen und einem Mann mit Rollator vor einem Robotaxi auf einem Zebrastreifen.sondern Fokus auf Vielfalt und Teilhabe.

Uber und Momenta haben Anfang September 2025 auf der IAA MOBILITY angekündigt, ab 2026 in München Level-4-Robotaxis zu testen. Fahrzeuge, die unter definierten Bedingungen vollständig ohne menschliches Eingreifen fahren können. München wird damit die erste kontinentaleuropäische Stadt, in der beide Unternehmen ihre Technologie öffentlich erproben.

Die Erwartungen sind hoch. Xudong Cao, CEO von Momenta, spricht von einer "Transformation urbaner Mobilität" und einem "neuen Kapitel im reichen automobilen Erbe der Region". Uber-Chef Dara Khosrowshahi betont, dass Deutschland die globale Automobilindustrie über ein Jahrhundert lang geprägt habe – und München nun helfen werde, "die Zukunft mit autonomen Fahrzeugen mitzugestalten".

Doch so ambitioniert diese Vision klingt – Technik allein reicht nicht. Die entscheidende Frage lautet: Wird diese Zukunft inklusiv gestaltet, oder reproduziert sie bestehende Bias und schließt Menschen aus?


Wenn Algorithmen Lücken haben

Ein autonomes System ist nur so gut wie die Daten und Perspektiven, mit denen es entwickelt wurde. Wenn Entwicklungsteams homogen zusammengesetzt sind – was in der Tech-Branche nach wie vor die Regel ist – entstehen systematische blinde Flecken. Diese betreffen nicht nur technische Details, sondern grundlegende Fragen der Teilhabe.


Ein Screenshot eines Blogartikels mit einem Bild eines humanoiden Roboters, der in einem grünen Auto am Steuer sitzt. Darunter der Titel „Bias auf der Überholspur: KI in der Mobilität ist nicht…“ sowie das Veröffentlichungsdatum „12. Mai“ und die geschätzte Lesezeit „4 Min.“.
In diesem Blogartikel geht es um den Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf die Mobilität.

Wie reagiert das System zum Beispiel auf Menschen mit Rollstuhl oder Rollator?

Werden ihre Bewegungsmuster, die sich von denen fußläufiger Personen unterscheiden, als valide Verkehrsteilnahme erkannt?

Eine aktuelle Studie des U.S. Access Board warnt explizit davor, dass autonome Fahrzeuge von Anfang an inklusiv gestaltet werden müssen, um nicht Millionen von Menschen mit Behinderungen von dieser Mobilitätsform auszuschließen.


Erkennen Sensoren zuverlässig Personen unterschiedlicher Körpergrößen und Hauttöne? Bei Gesichtserkennung und KI-Systemen sind hier bereits gravierende Schwächen dokumentiert – mit teils lebensgefährlichen Konsequenzen.


Werden die Bedürfnisse von Eltern mit Kinderwagen mitgedacht, die beim Ein- und Aussteigen mehr Raum und Zeit benötigen? Wie sieht es mit älteren Menschen aus, deren Reaktionszeiten sich von jüngeren Nutzer*innen unterscheiden? Und wie steht es um Personen mit Seheinschränkungen, die auf akustische Signale und klare Orientierungshilfen angewiesen sind?


Besonders brisant wird es beim Thema Sicherheitsgefühl. Eine Person, die nachts allein unterwegs ist, bewertet Situationen anders als tagsüber oder in Begleitung. Diese subjektive Sicherheitswahrnehmung lässt sich nicht einfach in Algorithmen übersetzen – sie erfordert empathisches Design und die Berücksichtigung realer Sorgen und Erfahrungen. Mobilität funktioniert nur, wenn Menschen sich sicher und gesehen fühlen. Technische Perfektion bedeutet nichts, wenn ganze Gruppen das Angebot nicht nutzen können oder wollen.


Die Gefahr der digitalen Spaltung im Straßenverkehr

Ein Aspekt, der in der öffentlichen Debatte oft untergeht, ist die geografische Dimension der Exklusion. Robotaxis funktionieren zunächst nur in klar abgegrenzten Zonen, sogenannten Geo-Fenced Areas. Das bedeutet: Wer außerhalb dieser definierten Gebiete wohnt oder arbeitet, bleibt von dieser Form der Mobilität ausgeschlossen. Das Urban Institute warnt davor, dass private Anbieter autonomer Fahrzeuge ihre Angebote auf große Städte beschränken könnten, während Menschen in ländlichen Regionen – wo überdurchschnittlich viele Menschen mit Behinderungen leben – ohne Optionen bleiben.

Diese räumliche Selektivität ist kein technisches Detail, sondern eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wenn innovative Mobilitätslösungen nur dort verfügbar sind, wo ohnehin bereits ein dichtes ÖPNV-Netz existiert, verschärft sich die Kluft zwischen urban und peripher. Die Gefahr besteht, dass autonome Mobilität zum Privileg für Innenstadtbewohner*innen wird, während Menschen in Randlagen weiterhin auf unzureichende Alternativen angewiesen bleiben.


Deshalb braucht es mehr als Ingenieurinnen in der Entwicklung und Planung solcher Angebote: Sozialwissenschaftlerinnen, die Nutzungsverhalten und soziale Dynamiken verstehen. Ethikerinnen, die algorithmische Entscheidungen auf ihre normativen Implikationen hin prüfen. Barrierefreiheits-Expertinnen, die aus eigener Erfahrung wissen, wo Hürden entstehen. Designer*innen, die Interfaces nicht nur funktional, sondern auch intuitiv und empathisch gestalten. Und vor allem: divers zusammengesetzte Teams, die unterschiedliche Lebenswirklichkeiten kennen und einbringen.

Die Ruderman Family Foundation hat bereits 2017 darauf hingewiesen, dass selbstfahrende Autos potenziell zwei Millionen neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen eröffnen könnten – aber eben nur, wenn diese Technologie von vornherein barrierefrei konzipiert wird. Das Potenzial ist enorm: Für Menschen, die aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht selbst fahren können, könnte autonome Mobilität echte Unabhängigkeit bedeuten. Doch dieses Versprechen kann nur eingelöst werden, wenn Inklusion nicht nachträglich aufgepfropft, sondern von Anfang an mitgedacht wird.


Ein weiterer kritischer Punkt ist die Frage der Datenerfassung und -nutzung. Autonome Fahrzeuge sind rollende Sensoren: Sie sammeln kontinuierlich Daten über ihre Umgebung, über Bewegungsmuster, über Nutzer*innenverhalten. Welche dieser Daten werden gespeichert? Wie lange? Wer hat Zugriff darauf? Und wie werden sie ausgewertet?

Die Disability Rights Education & Defense Fund (DREDF) weist in einer aktuellen Analyse darauf hin, dass autonome Fahrzeuge und neue Technologien das Risiko bergen, Vorurteile und Diskriminierung, die in der Gesellschaft existieren, zu verfestigen und zu perpetuieren. Wenn Algorithmen auf Basis historischer Daten trainiert werden, die bereits Bias enthalten, reproduziert das System diese Verzerrungen – möglicherweise sogar verstärkt.

Die Frage der Transparenz ist also keine technische Nebensächlichkeit, sondern eine Voraussetzung für Vertrauen. Menschen müssen verstehen können, nach welchen Kriterien Entscheidungen getroffen werden – gerade wenn diese Entscheidungen ihre Sicherheit und Mobilität betreffen.


Vertrauen entsteht nicht automatisch: München als Chance

Für viele Menschen ist autonome Mobilität noch eine Blackbox. Die Vorstellung, sich einem Fahrzeug ohne Fahrer*in anzuvertrauen, weckt Unbehagen. Dieses Unbehagen ist nicht irrational – es ist eine nachvollziehbare Reaktion auf eine Technologie, deren Funktionsweise für Laien schwer durchschaubar ist.

Vertrauen entsteht nicht durch vollmundige Versprechungen, sondern durch konkrete Erfahrungen, nachvollziehbare Tests und die Möglichkeit, Feedback zu geben und ernst genommen zu werden. Es entsteht durch Design, das nicht nur effizient, sondern auch empathisch ist. Durch Kommunikation, die klar macht, was das System "sieht" und wie es reagiert. Durch Beteiligung derer, die diese Technologie nutzen sollen – nicht als Testpersonen, sondern als Mitgestaltende.

In München könnten wir genau das tun: aktiv gestalten: bei Testdesign, Ethik-Standards, Datenschutz und inklusivem Design. Die Stadt hat die Chance, Standards zu setzen, die über Deutschland hinaus wirken.

Die Robotaxis, die ab 2026 durch München fahren, werden ein Testlauf sein – nicht nur für eine Technologie, sondern für unsere Vorstellung von urbaner Mobilität und gesellschaftlicher Teilhabe.

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