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"Gerechte Mobilität stellt den Menschen in den Mittelpunkt von Technologien."

Fahrpersonal im ÖPNV ist knapp - und teuer. Autonome Busse könnten deshalb nicht nur dem Fachkräftemangel entgegenwirken, sondern auch Kosten einsparen. Pilotprojekte in Deutschland sind bereits sehr erfolgreich. Damit selbstfahrende Busse in der Breite erfolgreich sind, müssen wir allerdings auf mehr achten als auf Technik und Einsparpotenziale.

Eine blau lackiertes autonomes Shuttle-Bahn steht am Straßenrand. Neben der Tür warten eine Frau und ein kleines Mädchen, beide in Freizeitkleidung. Die Frau hält das Kind sanft am Rücken, als wollten beide gerade einsteigen.

Die Zahlen klingen verlockend: Bis zu 80 Prozent Einsparungen bei öffentlichen Zuschüssen pro Kilometer könnten autonome Busse laut einer aktuellen Studie von PwC und der Universität St. Gallen bringen. Bis 2047 könnte Deutschland durch autonome Busflotten im ÖPNV erheblich sparen – im besten Fall könnten die öffentlichen Mittel von derzeit 70 auf unter 60 Prozent der ÖPNV-Betriebskosten gesenkt werden, weil die Personalkosten für Fahrer*innen wegfallen.

„Der Robo-Bus-Radar zeigt klar, dass autonomes Fahren im ÖPNV keine reine Zukunftsvision mehr ist, sondern mehr und mehr Realität wird", sagt Maximilian Rohs,Public Transport Leader bei PwC Deutschland.


Schon jetzt hat Deutschland mit Frankreich europaweit die fortschrittlichsten Regulierungen für vollautomatisiertes Fahren geschaffen. In Hamburg sollen bis 2030 mehrere Hundert autonome Shuttles unterwegs sein. Bundesweit laufen aktuell 15 Pilotprojekte mit einem Volumen von 228 Millionen Euro, 52 wurden bereits abgeschlossen.


Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) listet auf seiner Internetseite mehr als 40 Projekte mit autonomen Shuttle-Bussen im ÖPNV auf. Sie tragen Namen wie EMil, Vera, Anna, Busbee oder SOfia und sind im Auftrag der Forschung im öffentlichen Raum unterwegs. Nach ersten Testläufen selbstfahrender Minibusse auf privatem Gelände werden sie nun den realen Anforderungen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ausgesetzt. Als Zubringer im Hub-to-Hub-Verkehr übernehmen die Shuttles Aufgaben auf der ersten und letzten Meile – sowohl im ländlichen Raum als auch in Städten oder einzelnen Quartieren.

Im regulären Betrieb liefern sie zusätzliche Erkenntnisse zu Technik und Betriebsabläufen, zur Akzeptanz durch Fahrgäste und zum Ridepooling. Außerdem tragen sie zu Bewertungen der Wirtschaftlichkeit, der Barrierefreiheit sowie zu Grundlagen verkehrspolitischer Entscheidungen bei.


Prof. Dr. Jana Kühl, bundesweit erste Professorin für Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule, hat bereits früh zu autonomen Bussen geforscht. Im NAF-Bus-Projekt (Nachfragegesteuerter Autonom Fahrender Bus) untersuchte sie an der CAU Kiel die Akzeptanz autonomer Kleinbusse im ländlichen Raum – unter anderem auf Sylt. Das vom BMVI mit über zwei Millionen Euro geförderte Projekt zeigte: Die Technologie allein ist nicht die Lösung – entscheidend ist, wie sie eingesetzt wird.

Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommt Prof. Dr. Claudia Hille, Stiftungsprofessorin für Radverkehr an der Hochschule Karlsruhe. Ihre Forschung zeigt: Nachhaltige Mobilitätssysteme müssen nicht nur technisch funktionieren, sondern auch die unterschiedlichen Lebensrealitäten berücksichtigen.


Die Fakten sprechen eine klare Sprache: 66 Prozent der ÖPNV-Nutzer*innen weltweit sind Frauen, in Deutschland sind es 53 Prozent. Frauen legen häufig komplexe Wegeketten zurück – Arbeit, Kita, Einkauf, Pflege von Angehörigen. Ihre Mobilitätsbedürfnisse unterscheiden sich strukturell von denen männlicher Pendler. Und: Das Mobilitätsverhalten von Menschen ist einkommensabhängig.

Doch was, wenn autonome Busse vor allem dort fahren, wo sie sich rechnen? In gut angebundenen Stadtteilen mit zahlungskräftiger Kundschaft? Die Gefahr ist real: Algorithmen optimieren auf Effizienz, nicht auf Teilhabe. Wenn die Routenplanung auf Grundlage verzerrter Mobilitätsdaten erfolgt – etwa weil Frauen, Menschen mit Behinderungen oder einkommensschwache Gruppen in den Datensätzen unterrepräsentiert sind – reproduzieren autonome Systeme bestehende Ungerechtigkeiten.

Ein Beispiel: On-Demand-Systeme mit dynamischer Preisgestaltung könnten Menschen mit niedrigem Einkommen ausschließen. Fehlende Barrierefreiheit könnte Menschen mit Mobilitätseinschränkungen erneut benachteiligen. Und wenn die Technologie nicht von diversen Teams entwickelt wird, bleiben blinde Flecken bestehen.


Menschen vor Technologie

Autonome Busse bieten die Chance, Barrierefreiheit von Grund auf neu zu konzipieren – ohne die Zwänge traditioneller Busarchitektur mit Fahrerarbeitsplatz. Niedrigflureinstiege, ausreichend Platz für Kinderwagen, Rollatoren und Rollstühle sollten Standard sein, nicht Zusatzfeature. On-Demand-Systeme mit autonomen Fahrzeugen könnten gerade im ländlichen Raum Wegeketten besser bedienen als starre Linienverkehre. Damit das gelingt, brauchen wir:


  1. Inklusive Planungsprozesse: Frauen, Menschen mit Behinderungen, Seniorinnen und weitere marginalisierte Gruppen müssen von Anfang an in die Entwicklung autonomer ÖPNV-Systeme einbezogen werden – nicht als "Sondergruppen", sondern als Expertinnen ihrer Mobilitätsbedürfnisse.

  2. Gender- und diversitätssensible Datenerhebung: Die Mobilitätsdaten, auf denen Algorithmen basieren, müssen alle Nutzer*innengruppen repräsentieren. Wer fehlt in den Datensätzen, fehlt auch auf der Straße.

  3. Ganzheitliche Mobilitätskonzepte: Autonome Busse sind kein Selbstzweck, sondern Teil eines multimodalen Mobilitätsökosystems. Die Integration mit Rad- und Fußverkehr ist essentiell.

  4. Fokus auf soziale Teilhabe: Die finanziellen Einsparungen sollten genutzt werden, um unterversorgte Gebiete besser anzubinden und bezahlbare Tarife zu ermöglichen – nicht um Budgets zu kürzen.

  5. Mehr Frauen in Entscheidungspositionen: 2017 waren nur 22 Prozent der Beschäftigten in der europäischen Mobilitätsbranche Frauen. Das muss sich ändern – denn nur mit diversen Teams entstehen Lösungen für diverse Bedürfnisse.



Die Potenziale autonomer Mobilität für den ÖPNV sind enorm – sowohl finanziell als auch für die Verkehrswende. Doch wie Dr. Ines Kawgan-Kagan aus Berlin es formuliert:

"Gerechte Mobilität stellt den Menschen in den Mittelpunkt von (innovativen) Technologien und nicht andersherum. Schließlich sind es die Menschen, die Produkte und Angebote nutzen."

Eure Perspektive ist gefragt!

Wie seht ihr das eigentlich? Eva Seibold untersucht im Rahmen ihrer Masterarbeit an der FOM Hochschule Hamburg genau diese Fragen: Wie denken Frauen verschiedener Generationen über neue Mobilitätsformen wie Robotaxis? Welche Faktoren beeinflussen ihre Akzeptanz? Ihre Forschung soll helfen, praxisnahe Empfehlungen für die Gestaltung zukünftiger Mobilitätsangebote zu entwickeln.

👉 Hier geht's zur Umfrage: https://www.soscisurvey.de/test494262/

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