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„Ich möchte die Mobilität im großen Sinne vorantreiben“

Unsere Mobilmacherin der Woche hat bei der Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft das Busnetz erweitert und neue Fahrerinnen und Fahrer eingestellt. Dann kam Corona. Heute berät Birgit Hocke bei Metamorphio Verkehrsunternehmen in Sachen Digitalisierung.



Birgit Hocke ist seit Mai 2022 Senior Consultant bei Metamorphio. Das Unternehmen wurde 2020 gegründet und berät Verkehrsunternehmen und -verbünde wie z.B. die BVG, den Verkehrsverbund und die BSVG in Braunschweig bei Themen rund um die Digitalisierung.

„Da gibt es unzählige Themen: von der Einführung neuer Ticketing-Systeme und Abo- bzw. Firmenticket-Onlinelösungen über MaaS-Plattformen bis zur Beschaffung von Fahrscheindruckern. Wir beraten bei Ausschreibungen und begleiten Systemeinführungen aber auch bei Konzepten von Städten und Kommunen für Mobilitätsplattformen oder die Erarbeitung und Umsetzung von Digitalstrategien“, sagt Birgit.

Ein besonderes Anliegen der Beratung sei es, ganzheitliche Lösungen für Städte und Kommunen zu entwickeln, statt Insellösungen zu schaffen. „Es gibt viele neue Mobilitätsanbieter, die sich dort zentrieren, wo es schon ein gutes Mobilitätsangebot gibt. Was aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nachvollziehbar ist. Aber aus Sicht einer Stadt ist es sinnvoll, das gesamte Stadtgebiet zu analysieren, herauszufinden, wo die blinden Flecke sind und die neuen Anbieter genau dahin zu setzen, damit sie den ÖPNV ergänzen können“, so Birgit.

Sie nutzen eine datenbasierte Methode, um diese blinden Flecke in der städtischen Mobilität zu ermitteln und darauf aufbauend die Angebotsqualität zu analysieren und gezielte Mobilitätsangebote zu planen.


Ich will auch als Beraterin Verantwortung übernehmen und nicht in ein Unternehmen gehen, beraten und wieder weggehen. Wir nennen uns zwar Berater, verstehen uns aber als Partner. Gerade im ÖPNV kennt man sich, die Branche ist klein. Deshalb ist es wichtig, für etwas zu stehen und Werte zu vertreten.

Birgit Hocke, Senior Consultant bei Metamorphio



Zur Mobilität gekommen ist Birgit 2013 über eine Assistenzstelle. Nach ihrem Studium, bei dem sie sich auf Themen wie Wirtschaftsrecht, Steuerlehre und Versicherungsmanagement spezialisiert hatte, wollte sie nicht sofort den klassischen Weg in der Wirtschaftsprüfung gehen. „Dann wurde bei der Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft eine Assistenz der Geschäftsführung gesucht und ich habe mir gedacht: wie spannend, das ist ein perfekter Beruf, in dem man in ganz viele Bereiche hineinschauen, Projekte begleiten und auch etwas bewegen kann. Das wollte ich: in einem Unternehmen etwas voranbringen“, erzählt sie. „So bin ich 2013 in den ÖPNV-Bereich gekommen und war erstmal erschlagen, wie vielseitig und komplex das ist.“


Birgit stieg direkt in ein mehrjähriges Projekt mit ein: die Erneuerung der Hard- und Software für den Busbetrieb Reutlingen. Also ein Projekt, bei dem sie heute beratend tätig wäre. „Ich hatte direkt die technischen Themen auf dem Tisch: DFI, Fahrgastinformation, neue Bordrechner, neue Fahrscheindrucker, neue Planungssoftware. Mich hat das fasziniert, an etwas mitzuwirken, was täglich von 60.000 Fahrgästen benutzt wird.“


2016 wird sie Personalleiterin, was nicht jedem gefällt

Weil ihr damals schon klar war, dass sie eine Führungsposition wollte, hat Birgit nebenberuflich ihren Master gemacht. 2016 übernahm sie dann die Personalleitung beim Reutlinger Stadtverkehr.


Damals hatten wir 140 Mitarbeiter, was für mich eine große Herausforderung war. Als junge Frau in einem Unternehmen, in dem zu der Zeit insgesamt nur fünf Frauen gearbeitet haben. Mein Vorgänger ist in Rente gegangen. Ich war wirklich das krasse Gegenteil von ihm.

Birgit Hocke, Senior Consultant bei Metamorphio


Die Reaktionen auf ihre Beförderung seien unterschiedlich gewesen, erzählt sie. „Der Geschäftsführer hat mich gefördert. Ich hatte aber auch auf der Führungsebene Personen, die mir klar gesagt haben, dass sie mir maximal ein Jahr geben.“


Auch der Betriebsrat habe sie auf die Probe gestellt. „Ich habe mir dann gesagt: sie würden es jeder jungen Führungskraft erstmal schwer machen.“ Sie habe sich nicht beirren lassen, sondern sei im Gegenteil sehr direkt mit Kommentaren umgegangen. „Ich habe klar geantwortet: ich möchte das Unternehmen voranbringen und da haben persönliche Befindlichkeiten keinen Platz. Das kam nicht bei jedem gut an.“


Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, Veränderung ins Unternehmen zu bringen und mutige Entscheidungen zu treffen. Auch auf die Gefahr hin, damit das ein oder andere Mal anzuecken.

Birgit Hocke, Senior Consultant bei Metamorphio


Am Ende blieb sie fünfeinhalb Jahre in der Position. Dass sie das Unternehmen verlassen hat und in die Beratung des ÖPNV wechselte, hat viel mit Corona und der Verkehrswende zu tun:

„2019 waren ich und alle anderen ganz beflügelt, man hat sich gegenseitig überboten bei der Netzerweiterung und neuen Fahrgastrekorden“, erzählt Birgit. Auch ihr Unternehmen erweiterte das Verkehrsnetz um 30 Prozent, es wurden neue Fahrzeuge beschafft, neue Linien geschaffen. Binnen neun Monaten stellte Birgit 60 neue Fahrerinnen und Fahrer ein, die Mitarbeiterzahl wuchs um rund 40 Prozent innerhalb kurzer Zeit. Dann kam Corona.


„Mit so einer Erweiterung erhofft man sich mehr Fahrgäste, womit auch bei den Fahrgeldeinnahmen kalkuliert wurde. Durch Corona hatten wir dann weniger Fahrgäste als vorher, weshalb ich 2021 von den 60 Leuten, die ich eingestellt hatte, beinahe die Hälfte wieder gehen lassen musste“, sagt sie.


Der Wunsch, etwas zu bewegen, bleibt

Sie sei bei jedem Kündigungsgespräch dabei gewesen. Das war ihr wichtig. „Diese Gespräche waren nicht einfach. Die Mitarbeitenden haben ihren Ärger deutlich geäußert. Ich hatte ihnen gesagt, dass es im ÖPNV eine Art Jobgarantie gibt wegen des Fahrermangels. Daran habe ich auch voll und ganz geglaubt. Und knapp 1,5 Jahre später musste ich ihnen sagen: Wir haben uns getäuscht und wir müssen uns jetzt trennen.“

Das sei nicht einfach für sie gewesen, aber auch lehrreich: „Eine absolute Garantie gibt es nicht, man kann nie wissen, was kommt.“


Das Stadtbusnetz, an dessen Erweiterung Birgit aktiv mitgearbeitet hat, wurde wieder zurückgebaut. Sie hatte das Gefühl, still zu stehen. „Nach sieben Jahren im Unternehmen hat man mir die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft angeboten, die ich auch übernommen habe. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl nicht weiterzukommen. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass ich die Mobilität wesentlich vorantreiben könnte. Und das ist einfach mein Wunsch.“

Deshalb entschied sich Birgit, in die Beratung zu wechseln und so bei vielen Verkehrsunternehmen etwas zu bewegen. „Bei LinkedIn habe ich eine Stellenausschreibung von Michael Gross gesehen, mit dem ich bei LinkedIn schon ein paar Mal über grundsätzliche ÖPNV-Themen diskutiert hatte“, erzählt sie. „Da war für mich klar: das passt.“


Mutig sein und sich aus der Komfortzone herauszubewegen ist sowohl für Menschen als auch für Verkehrsunternehmen und Mobilitätsanbieter wichtig. Es wird immer wieder Menschen geben, die einen in der Komfortzone halten wollen oder darin bestärken, dort zu bleiben. Aber um voranzukommen, muss man sie verlassen. Und ja, es wird manchmal etwas schief gehen und ja, das werden andere mitbekommen und diese Rückschläge muss man einstecken. Als Mensch wie auch als Unternehmen. Aber ohne gibt es keinen Fortschritt.

Birgit Hocke, Senior Consultant bei Metamorphio


Dass Metamorphio ein junges Unternehmen ist, gefiel ihr sehr gut. „Ich wollte in ein junges und dynamisches Unternehmen gehen, weil ich da das Gefühl habe, etwas mitgestalten zu können. Bei einer größeren Beratung hätte ich das nicht gekonnt.“ Auch die Arbeit mit den unterschiedlichen Verkehrsunternehmen und deren Projekten mache ihr Spaß und mit jedem Kunden erweitere sich auch ihr Horizont.


Sie sagt: „Wir sind eine wichtige Branche und können das auch selbstbewusst kommunizieren. Auch wenn noch nicht alles perfekt läuft, sollten wir unseren Fokus darauf richten weiterhin verlässlich und gleichzeitig modern und zukunftsorientiert zu sein.“



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